Das ProNatura Tier des Jahres 2023 – die Blauflügelige Ödlandschrecke
Für das Jahr 2023 hat die Schweizer Naturschutzorganisation ProNatura die Blauflügelige Ödlandschrecke als Tier des Jahres benannt. Das Insekt ist eine Botschafterin für die Vergänglichkeit. Mehr über das Tier des Jahres erfahren Sie in diesem Artikel.
Seit 1998 ernennt die Naturschutzorganisation ProNatura jedes Jahr eine heimische Tierart zum Tier des Jahres. Auf diese Weise will die Organisation darauf aufmerksam machen, welche Herausforderungen diesem Tier in seinem Habitat begegnen und wie Menschen den Naturschutz unterstützen können. Im Jahr 2022 war beispielsweise der Gartenschläfer Botschafter für den Schutz wilder Wälder und eine naturbewusstere Forstwirtschaft.
Für das Jahr 2023 hat ProNatura die Blauflügelige Ödlandschrecke zum Tier des Jahres ernannt. Diese Heuschreckenart ist primär in kargen, trockenen und warmen Gebieten anzutreffen. Leider ist ihr natürlicher Lebensraum im Laufe des letzten Jahrhunderts stark geschrumpft, weshalb sie auch immer wieder in von Menschen geschaffenem «Ödland» zu finden ist. Diese Zuflucht ist jedoch nur temporär – damit Blauflügelige Ödlandschrecken dort überleben könnten, wäre es notwendig, bewusst Lebensräume für sie zu schaffen.
Die Blauflügelige Ödlandschrecke im Flug
Das Insekt auf einer Blüte
Aufnahme am Boden mit gespreizten Flügeln
Oedipoda caerulescens – eine Botschafterin für die Vergänglichkeit
Aus diesem Grund hat ProNatura die Oedipoda caerulescens repräsentativ für alle Bewohner natürlichen Ödlands zum Tier des Jahres gewählt. Die älteste Naturschutzorganisation der Schweiz will den Menschen dadurch ins Bewusstsein rufen, dass viele Naturparadiese unerwartet vergänglich sind – gehen sie verloren, können auch ihre zahlreichen Bewohner nicht überleben.
Insbesondere die über 30'000 in der Schweiz heimischen Insektenarten, von denen 115 zur Gattung der Heuschrecken zählen, sind davon stark betroffen. Aktuell werden 60–% der Arten als bedroht eingestuft, was oft auf den Menschen zurückzuführen ist. So wurden nahezu alle natürlichen Auenlandschaften durch Bauprojekte zerstört, während 95–% der Trockenwiesen Verwaldung, Überbauung oder landwirtschaftlicher Nutzung weichen mussten.
Tarnen und täuschen, um zu überleben
Genau diese Lebensräume sind es jedoch, für die die Blauflügelige Ödlandschrecke am besten angepasst ist. Mit ihrer bräunlich-grauen Farbe ist die rund 2 Zentimeter lange Heuschrecke selbst aus nächster Nähe kaum vom Untergrund zu unterscheiden. Erst wenn sie aufgeschreckt wird, breitet sie ihre markanten, blau-schwarzen Flügel aus und fliegt zu ihrem nächsten Versteck, wo sie wieder mit der Umgebung verschmilzt.
Ein wichtiger Grund für ihren Lebensraum besteht darin, dass die wechselwarme Ödlandschrecke eine leichte Krautschicht in ihrem Lebensraum benötigt. Diese dient ihr nicht nur im Sommer zum Schutz vor Überwärmung, sondern schützt auch ihre im Boden abgelegten Eier vor dem Austrocknen. Ferner findet sie in ihrem natürlichen Biotop reichlich der Gräser und Kräuter, die ihre wichtigste Nahrungsquelle darstellen – wenngleich die Blauflügelige Ödlandschrecke auch Aas nicht verschmäht.
Wie auch bei den anderen Arten der Gattung Oedipoda ist die Grundfarbe der Blauflügeligen Ödlandschrecke ein fein bis gröber marmoriertes Graubraun. Das Insekt passt seine Körperfarbe bei den Häutungen an die Umgebung an.
Ein kurzes, aber bewegtes Leben
Wie die meisten heimischen Heuschreckenarten lebt die Blauflügelige Ödlandschrecke nur wenige Monate. Während dieser Zeit häuten sich die Männchen viermal und erreichen eine Grösse von bis zu 23 Millimetern, während Weibchen sich fünfmal häuten und bis zu 3 Zentimeter lang werden. Dabei passen sie sich mit jeder Häutung besser an den Untergrund an. Nicht selten erschwert dies den Männchen im Spätsommer sogar die Paarung: Gelegentlich kommt es vor, dass sie versuchen, sich mit herumliegenden Holzstücken zu paaren.
In der Paarungszeit verzichten die Männchen der Ödlandschrecke auf lautstarkes oder auffälliges Balzverhalten – stattdessen bewegen sie sich fast lautlos auf Weibchen zu und versuchen, diese zu besteigen. Nach der Paarung legt ein einzelnes Weibchen bis zu 120 Eier im Erdboden ab, indem es den gesamten Ovipositor in die Erde bohrt. Die «Nymphen» genannten Larven schlüpfen im späten April des folgenden Jahres, während die erwachsenen Tiere beim ersten Frost sterben.
Den Naturschutz und die Blauflügelige Ödlandschrecke unterstützen – aber wie?
In der Schweiz ist die Art Oedipoda caerulescens besonders häufig im Wallis, im Tessin und am Jurasüdhang anzutreffen, kann jedoch bei geeigneten Bedingungen auch andernorts auf Höhen von bis zu 2000 m.ü.M. überleben. So werden immer wieder Kiesgruben oder Bahnareale zur Heimat Blauflügeliger Ödlandschrecken. Dennoch sind diese Umgebungen keine Heimat für immer. Werden sie unbeirrt weiterhin genutzt, besteht eine Gefahr für die Ödlandschrecke.
Entsprechend wichtig ist es, die verbleibenden Auenlandschaften konsequent zu erhalten und in der Landwirtschaft mehr Rücksicht auf den Naturschutz zu nehmen. Auf Pestizide und Monokulturen sollte daher auf Feldern nach Möglichkeit verzichtet werden. Im eigenen Garten hingegen ist es leider nur schwer möglich, der Blauflügeligen Ödlandschrecke etwas Gutes zu tun. Dennoch kann es Exemplaren auf der Durchreise helfen, wenn sie vorübergehend in einem Insektenhotel Schutz finden können.